Uje Fenger (D)
"Auf Linie" 2014

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Ausstellung "Auf Linie" AUF-Galerie, Essen 2014


Auf Linie

Die Diskussion, ob Strich oder Linie ist nicht Ziel führend und somit sollten wir hier auch keinen gewollten Unterschied machen. Mir kommt, denke ich an die Linie in der Kunst die Zeichnung in den Kopf, die Abbildung der Wirklichkeit oder die Skizze als Vorübung für die Malerei; aber auch Paul Klee, der sich intensiv mit der Linie auseinander gesetzt hat. In vielen Vorlesungen und schriftlichen Abhandlungen hat er über die Ausdrucksqualität der Linie gearbeitet – in Theorie und Praxis. Für ihn Hatte die Linie eine sinnstiftende Aussage und er legte größten Wert auf Präzision in die Ausprägung der Linie. Vieles, was wir aus den Schriften und Zeichnungen Klee`s wissen, trifft auch für Karl-Heinz Jeiter zu: Linienrichtungen, technische Perfektion, individuelle Strichführung, Duktus und Variation, Isolation und Verdichtung usw. Weniger vergleichbar sind die Flächen füllenden Liniengefüge und damit die malerische Wirkung zu abstrakten Bildern, die auf den ersten Blick scheinbar aus der Natur übernommen sind. Welche Schichten liegen vor uns und was ist hinter der Oberfläche ?
Es ist keines Wegs so, dass Karl-Heinz Jeiter als "angepasster Künstler" AUF LINIE ist und es ist auch nichts, dass er als AUFSTRICH gefrühstückt werden kann. Gehen wir also Schritt für Schritt vor und versuchen den Künstler zu verstehen.
Der Abend erlaubt keine wissenschafts-philosophische-psychologische Abhandlung Über die Begriffe Linie und Strich – dennoch wäre es interessant, diese Frage zu vertiefen. Hier nur soviel:
– die Linie ist (mathematisch) ein eindimensionales Objekt
– die Linie ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte
– die Linie ist eine gerade Strecke (wir verbinden das Konstruktive mit ihr)
– die Linie ist eine Kontur, ein Umriss
– die Linie ist umgangssprachlich ein Strich
– ein Strich ist eine gezeichnete oder gemalte Linie

Die lateinischen Worte des römischen Gelehrten Plinius d.Ä. "nulla dies sine linea", d. h. "kein Tag ohne Linie" werden von Paul Klee aufgegriffen und auch von K.-H. Jeiter lebt in seiner künstlerischen Arbeit diesen Satz.

Klee untersucht die Linie in ihrer Richtung, Aussage und Wirkung als Strich, Kontur, Begrenzung einer Fläche, als "den Punkt in Bewegung" oder als "reine Abstrakte". So ist zum Beispiel die Schlangenlinie positiv besetzt als Freiheit, Einheit und Flexibilität wo hingegen die Zick-Zack-Linie harte Veränderungen in der Richtung, eine Einschränkung verkörpert. Runde Kurven und zackige Geraden sind völlig andere innere Gefühlslagen; organische Schönheit trifft auf harte Konstruktion. Klee will durch die Linie und ihre Setzung sichtbar machen, was die Form transportiert (vgl. Engel).

Was will Jeiter? Oder, was will er nicht? Die zweite Frage ist schnell beantwortet: Er will nicht abbilden, er zeichnet nicht mehr die ihn umgebende Wirklichkeit ab, er Erfindet – einfach gesagt – eine neue Wirklichkeit, oder sollte man besser sagen eine abstrakte Wirklichkeit. Aber was ist das? Beschreiben wir, was wir sehen, so sind es Linien, Linienbündel, Linienrichtungen, Konturen, Variationen, individueller Duktus, Isolation und Verdichtung, harmonische Farbigkeit, technische Perfektion, durchdachte Komposition, Flächen füllende, offene bis geschlossene Gestaltung. War bei Klee die Linie meist formbildendes Element, ist bei Jeiter die Linie zu abstrakten Bildern geworden. Das Abstrakte ist das nicht Gegenstand bezogene und es beschränkt sich nicht auf die Linie sondern bezieht die Fläche mit ein. Die Linie wird also zur Fläche und somit zur Malerei, weil Farbe Fläche verlangt. Wende wir uns der ersten Frage zu und lassen den Künstler selbst die Antwort geben, ich zitiere:

"In der modernen Kunst gibt es eine Tradition der Selbstreflektion des gemalten Bildes. Dabei ist die flächig aufgetragene Farbe selbst in all ihren Ausdrucksmöglichkeiten Thema des Gemäldes. Hier möchte ich anknüpfen und mache die Linie selbst in all ihren Ausdrucksmöglichreiten zum Thema meiner Zeichnung."

Ich möchte hier noch einen anderen Aspekt berücksichtigen und weiter fragen, was macht die Linie auf der Fläche, wie wird sie selbst zu Fläche und was ist der erweiterte "Zeichnungsbegriff" bzw. der Schritt von der Zeichnung zu Malerei ? Zuerst fällt hier auf, dass die Linie farbig ist und somit die übliche Unbuntheit überwindet; Zeichnungen wurden und werden in der Regel mit Bleistift, Graphit, Kreide oder Tusche – also schwarz, grau oder rötlich/bläulich angelegt. Die besondere Bereicherung in Jeiters Arbeiten sind also Farbstriche, die über die schwarze Konturenzeichnung auf weißem Grund hinaus gehen; erwähnt werden sollte, dass Rötel oder Grisaille seit Jahrhunderten als "Vorzeichnungen" für Gemälde genutzt wurden (Renaissance) und, dass die Bündelung/Verdichtung der Striche/Linien zu Flächen ihre Modifizierung erfahren. Diese zeichnerischen Formationen lassen uns an Gegenstände denken, die durch Schraffuren in ihrer Räumlichkeit durch unterschiedliche Heiligkeit bestimmt werden, die durch Texturen einen speziellen Gewebeaufbau erhalten, die durch Fakturen in ihrer spezifischen Erscheinung bestimmt werden oder die durch ihre Struktur ein unverwechselbares Erscheinungsbild erhalten.

Wenn wir vorne das Abstrakte in den Bildern beschrieben haben, so wird jetzt deutlich, dass durchaus Assoziationen an bekannte Materialien auftauchen: vielleicht Steine, Felsen, Abbildungen von Böden, Gräsern, Rinden – also die uns bekannten natürlichen Stoffe. Aber sie sind eben nicht eindeutig aus zu machen und somit finden wir ein Eigenleben der Zeichnung vor. Die Komposition im Format verfolgt die Prinzipien der ästhetischen Bildsprache und zeigt durch schichtartige Füllung und gegenläufige oder parallele Liniensetzung ein komplexes Gebilde, welches sich dem Vorbild aus der Natur bzw. der Abbildung der Wirklichkeit entzieht. Das Gestaltungselement Linie/Fläche wird in den Gestaltungsprinzipien variiert und führt somit zu einer Erfindung einer eigenen Wirklichkeit, die zunächst im Kopf des Künstlers gedacht und im Prozess der Ausführung eine Verselbstständigung aus der individuellen Dynamik erfährt.
Es entsteht im "künstlerischen Schöpfungsakt" eine phantastische Harmonie.

Uje Fenger

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